Demo-Kongress

Alles steht auf dem Kopf – durch unzureichenden Schlaf ?!

6. Mai 2025 - Prof. (i.R.) Dr. Dipl. Psych. Dieter Riemann

Vortragsabstract

Zum Zusammenhang zwischen psychischen Erkrankungen und Schlaf hat sich in den letzten Jahrzehnten eine intensive Forschung etabliert. Nachdem initial angenommen wurde, dass Veränderungen des Schlafs, wie etwa eine verkürzte REM-Latenz, spezifisch für depressive Erkrankungen sind, wissen wir inzwischen, dass Störungen der Schlafkontinuität im Sinne einer Insomnie einen transdiagnostischen Marker / Mechanismus für fast alle psychischen Erkrankungen darstellen.

Für depressive Störungen gilt darüberhinaus, dass paradoxerweise kompletter bzw. partieller Schlafentzug die Stimmung zumindest kurzfristig aufhellen können, und dass kurze Naps einen Rückfall in die depressive Stimmungslage provozieren können. Zudem imponiert bei vielen depressiven Patienten eine Tagesschwankung der Stimmung mit einem Morgentief und einer spontanen Verbesserung am Nachmittag/ Abend.

Diese Befunde haben dazu geführt, bei depressiv erkrankten Menschen eine depressionsintensivierende Wirkung von Schlaf zu postulieren. Eine Ursache hierfür könnte eine dysfunktionale nächtliche Emotionsregulation sein, oder auch eine Störung nächtlicher Neurotransmitterinteraktionen. Vielleicht tragen auch negativ gefärbte Trauminhalte dazu bei, dass depressive Menschen trauriger erwachen als sie zu Bett gegangen sind.
Die insomnische Störung steht im Fokus der Forschung zu psychischen Erkrankungen, Schlafmangel und Emotionsregulation. Neueren Studien zufolge ist es dabei weniger ein massiver objektiver Schlafmangel als eine Fragmentierung des Schlafs durch viele Mikroarousal, die die Insomnie polysomnographisch charakterisiert. Die Schlaffragmentierung wird dabei als Ausdruck eines psychophysiologischen Hyperarousals, welches sich auch in einer Erhöhung des Cortisolspiegels manifestiert, interpretiert.
Inzwischen hat sich die kognitive Verhaltenstherapie (KVT-I) als Methode der ersten Wahl in der Therapie von Insomnien etabliert. KVT hat nicht nur das Potential, die insomnische Symptomatik zu reduzieren, sondern lindert auch depressive Begleitsymptome. Neue Befunde sprechen auch dafür, dass eine frühzeitige Insomnietherapie  generell präventiv für psychische Erkrankungen wirken kann.

Ein Kurzportrait

Dieter Riemann war über 30 Jahre ordentlicher Professor für Klinische Psychophysiologie an der Universitätsklinik Freiburg i. Breisgau. Er leitete dort die Abteilung für Klinische Psychologie und Psychophysiologie/ Schafmedizin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Er ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut, Supervisor für Kognitive Verhaltenstherapie und Mitglied im Vorstand des Freiburger Ausbildungsinstituts für Verhaltentherapie. Wissenschaftlich hat er sich in den letzten 35 Jahren vornehmlich mit den Zusammenhängen zwischen Schlaf, Schlaflosigkeit und psychischen Erkrankungen befasst.

Zusammen mit seinen Mitarbeitern hat er mehr als 500 Publikationen in international anerkannten Fachzeitschriften veröffentlicht und zahlreiche Vorträge zur Thematik weltweit gehalten. Dieter Riemann war in den letzten beiden Jahrzehnten an mehreren diagnostischen und therapeutischen Leitlinien zur Insomnie beteiligt, unter anderem am DSM-5 und der Europäischen Insomnie-Leitlinie. Er hat zudem mehrere Therapiemanuale und Ratgeber zur Insomnie veröffentlicht und sowohl in Deutschland als auch Europa die Kognitive Verhaltenstherapie für Insomnie etabliert.

Dieter Riemann ist seit 2015 Gastprofessor an der Universität Oxford und gibt seit 2017 die Zeitschrift Journal of Sleep Research als Editor in Chief heraus. Im Juni 2021 hat im die Universität Pisa den PISA Sleep Award für seine herausragenden Beiträge zum Gebiet der Schlafforschung und Schlafmedizin verleihen. Zeitgleich mit seiner Emeritierung im März 2024 hat Dieter Riemann am 1.4.2024 die Tätigkeit als Vorstandsreferent der DGSM übernommen.